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Die deutsche Corona Tracking App – Eine Quick & Dirty UX Bewertung

Gestern wurde die deutsche Corona-Tracing-App veröffentlicht. Vor der Veröffentlichung der App gab es eine Menge Diskussionen über Datenschutz und Datensicherheit, aber ein Aspekt, den ich nirgends erwähnt sah, war der Aspekt der Einfachheit der Nutzung und Usability. Heute werde ich die Benutzerfreundlichkeit der App kurz überprüfen und vielleicht einige Ideen zur Verbesserung liefern.

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Hintergrund

Am 16. Juni 2020 wurde die staatlich geförderte App "Corona Warn-App" für die deutsche Öffentlichkeit über den Google Play Store und den Apple App Store veröffentlicht. Die App wurde von der Deutschen Telekom und SAP entwickelt. Sinn und Zweck der App ist es, den deutschen Bürgern Informationen über ihren individuellen COVID-19-Risikostatus zu geben, indem sie den Kontakt zu anderen Personen, die die App ebenfalls auf ihrem Smartphone installiert haben, nachverfolgen können. In diese Überprüfung fließen auch einige Rückmeldungen von Kollegen, Freunden und Familie ein, die die App in den letzten 24 Stunden ebenfalls auf ihrem Smartphone installiert haben.

 

Schritt 1: Installation aus dem Google play / Apple app store

Am ersten Tag der Verfügbarkeit schien die größte Hürde für viele potenzielle Nutzer die Tatsache zu sein, dass die App einfach sehr schwer zu finden war. In beiden App Stores führte die Suche nach "Corona", "COVID" oder sogar "Corona warn app" (der vollständige Name der App) nicht zu einem Link zur App. So blieb den Nutzern nur die Möglichkeit, die App zu googeln und zu hoffen, dass sie den Link zur App über andere Seiten finden würden.

 

 

Viele meiner Kontakte erzählten mir, dass sie die App gegoogelt hatten und dann einen Link zur Store-Seite der App auf der Seite einer Online-Zeitung oder eines Magazins gefunden hatten. Seit heute Morgen scheint dieses Problem behoben zu sein (wahrscheinlich haben die Stores von Google und Apple ihre Suchrelevanztabellen gestern Abend aktualisiert) und heute erscheint die App in beiden Stores als erste Übereinstimmung für relevante Suchbegriffe in Deutschland.

Mehrere meiner Freunde erzählten mir, dass sie die Empfehlungslinks direkt an ihre Verwandten geschickt haben, von denen sie dachten, dass sie nicht in der Lage sein würden, die richtige App schnell über eine Suchmaschine zu finden und sich durch Online-Nachrichten zu klicken. Positiv ist, dass die App einen sichtbaren Link bietet, um den Standort des App-Stores mit anderen zu teilen.

Mehrere Personen, mit denen ich den Installationsprozess besprochen habe, wiesen darauf hin, dass sie ältere Verwandte haben, die noch iPhones der älteren Generation (6 und älter) verwenden und die daher von der Installation der App ausgeschlossen sind. So wie ich das verstehe, benötigt die App eine bestimmte Art von Bluetooth-Funktion, die auf diesen Telefonen nicht verfügbar ist. Da meiner Erfahrung nach viele ältere Bürger dazu neigen, ihre Smartphones nicht so häufig zu aktualisieren, wie es in jüngeren Generationen üblich ist, oder die Telefone benutzen, die sie von ihren jüngeren Verwandten geerbt haben, könnte die App eine kritische Anzahl von Bürgern nicht erreichen - von denen viele in der Risikogruppe für einen schwereren Verlauf der COVID-19-Infektion sind.

Leider zeigt der Apple App Store nur die Meldung an, dass iOS13.5 oder neuer benötigt wird, um die App zu installieren, gibt aber keine Informationen darüber, was der Benutzer in diesem Moment tun kann, wenn er kein iOS13.5 installiert hat ("versuchen Sie, die Software zu aktualisieren" "iOS 13.5 ist nur auf iPhone 7 oder neuer verfügbar").

 

Schritt 2: Installation

Der Installationsprozess der App ist recht einfach - er kann durch wiederholtes Drücken einer gut erkennbaren Schaltfläche am unteren Bildschirmrand abgeschlossen werden.
Allerdings sind die Informationen, die in den einzelnen Schritten des Installationsvorgangs vermittelt werden, weder für ein schnelles Lesen strukturiert, noch in leichter Sprache verfasst. Nutzer, die keine Muttersprachler sind, eine Lernschwäche oder Legasthenie haben, könnten Schwierigkeiten haben, die relevanten Informationen zur Funktionsweise der App zu verstehen. Texte wie dieser "Die verschlüsselten Zufallscodes geben nur Auskunft über das Datum, die Dauer und die anhand der Signalstärke berechnete Entfernung zu Ihren Mitmenschen. Persönliche Daten wie Name, Adresse und Aufenthaltsort werden zu keiner Zeit erfasst." könnten in Bullet-Points strukturiert und wichtige Aspekte durch passende Icons hervorgehoben werden. Dies würde bereits das schnelle Überfliegen und Verstehen der bereitgestellten Informationen erleichtern.


Da die App am besten funktioniert, wenn sie von den meisten Menschen genutzt wird, würden wir außerdem empfehlen, einen On-Screen-Schalter zu implementieren, der es dem Benutzer ermöglicht, die Sprache auf dem Bildschirm auf Einfache Sprache umzuschalten.


In Deutschland müssen wir auch berücksichtigen, dass es einen relevanten Teil der Bevölkerung gibt, der die deutsche Sprache derzeit noch lernt oder gar kein Deutsch spricht (z.B. Flüchtlinge, Langzeit-Geschäftsreisende oder Touristen, die derzeit aufgrund einer Abriegelung nicht in ihr Heimatland zurückkehren können). Die App ist derzeit in deutscher und englischer Sprache verfügbar. Das hilft diesen Anwendern schon sehr bei der Nutzung der App - und hilft damit letztlich, das Infektionsrisiko für uns alle zu verringern. Wir sollten jedoch nicht vergessen, dass eine Übersetzung der App in weitere Sprachen auch denjenigen helfen könnte, die keine dieser beiden Sprachen fließend beherrschen.

 

Schritt 3: App-Nutzung

Nach der Installation gibt es weiterhin Probleme mit der Sprache (wie in der Überprüfung des Installationsschritts oben beschrieben), obwohl einige Anstrengungen unternommen wurden, lange Texte aufzulösen. Zum Beispiel bei den Informationen über den individuellen aktuellen Risikostatus. Hier werden Informationen zu empfohlenen Verhaltensweisen in einer Liste von kurzen Texten strukturiert und mit passenden Icons illustriert, was die Wahrnehmung und das Verständnis dieser Ratschläge deutlich weniger umständlich macht.

Ein weiterer positiver Aspekt: Die App bietet sehr viele Informationen über ihre Funktion und wie ihr Design versucht, die Privatsphäre des Nutzers zu schützen. Meine Freunde und Familie waren größtenteils zufrieden mit den Informationen, die zur Verfügung gestellt wurden. Auf der anderen Seite gibt es aber auch einen Aspekt, den viele meiner Freunde und Kollegen kritisiert haben: Sie sind sich unsicher, ob die App im Hintergrund weiterläuft, wenn sie sie schließen. Leider gibt weder die App selbst, noch die verlinkte FAQ-Seite Auskunft über diesen Aspekt.

Es wäre empfehlenswert, diese Information ständig auf dem Hauptbildschirm der App oder zumindest als letzten Schritt im Installationsprozess und in den FAQs bereitzustellen.

 

Gesamturteil

Für den durchschnittlichen deutschen Nutzer scheint die App (zum jetzigen Zeitpunkt) einfach genug zu installieren und zu bedienen zu sein. Die Frage des Offenhaltens der App sollte jedoch angegangen werden. Auch sollte bedacht werden, dass ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung aufgrund fehlender Hardware nicht in der Lage sein wird, die App zu installieren - zumindest sollten sie darüber informiert werden, welche Möglichkeiten sie haben oder welche Schritte sie unternehmen müssten, um die App nutzen zu können.

Für Nicht-Muttersprachler, Lernende der deutschen Sprache, Besucher, Menschen mit eingeschränkten kognitiven Funktionen oder für Menschen mit Legasthenie ist die App wahrscheinlich leicht zu installieren (wenn sie sich nicht darum kümmern, womit sie einverstanden sind, wenn sie im Installationsprozess auf die Schaltfläche Weiter klicken). Allerdings wäre die App für diese Benutzer wahrscheinlich attraktiver (und die Nutzungsrate würde wahrscheinlich steigen), wenn die Informationen in der App besser strukturiert wären und wenn sie auf leichte Sprache umschalten könnten.

Wir hoffen, dass diese Probleme in zukünftigen Updates behoben werden, damit noch mehr Menschen die App installieren und uns helfen, uns und unsere Community vor COVID-19 zu schützen.

 

Update - 17.06.2020

Einige unserer Leser haben uns kontaktiert und darauf hingewiesen, dass es eine englische Version der App gibt, die installiert wird, wenn die Systemsprache auf Englisch eingestellt ist. Wir haben unseren Text geändert, um diese Information wiederzugeben. Vielen Dank an alle, die uns darauf hingewiesen haben!

Autor

Jan Panhoff

Jan begann seine Tätigkeit als UX-Profi im Jahr 2004 nach Abschluss seines M.Sc. in Digitalen Medien. 10 Jahre lang unterstützte er eBay als Embedded UX-Berater. Seine Schwerpunkte bei uintent liegen in der Automobil- und Innovationsforschung.

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