Healthcare, Patienten Interviews

UX im Gesundheitswesen: Wie man Interviews mit Patienten führt

Die Medizin-Industrie beginnt, die Bedeutung der nutzerzentrierten Entwicklung zu erkennen. Die Einbeziehung von Patienten wird immer wichtiger. Es kann jedoch auch viele Herausforderungen mit sich bringen, wenn es um die Durchführung von Interviews mit Teilnehmern spezieller Patientengruppen geht.

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Wieso ich Studien im Gesundheitswesen am spannendsten finde

Zu Beginn meiner Karriere als UX-Forscherin hatte ich die Chance, an Studien in allen möglichen Branchen zu arbeiten - Automobil, E-Commerce, Reisen, Finanzen und Gesundheitswesen. Für mich persönlich waren die Studien im Gesundheitswesen am spannendsten. Nicht nur, weil man sehr detailliert arbeiten und sich auf spezielle Vorschriften konzentrieren muss, sondern auch wegen der Herausforderungen, die sich bei der Befragung von Teilnehmern spezieller Patientengruppen ergeben, z.B. Patienten mit der Alzheimer Erkrankung.

Es ist großartig zu sehen, dass die Medizin-Industrie beginnt, die Bedeutung der nutzerzentrierten Entwicklung zu erkennen, da die Forschung zur Einbindung von Patienten ein großes Plus bei der Entwicklung sicherer und effektiver Gesundheitsprodukte darstellt.

Allerdings birgt die Einbindung von Patienten auch viele Herausforderungen, wenn es um die Durchführung von Interviews geht.

 

Es geht um Vertrauen und eine angenehme Atmosphäre

Die Schaffung personalisierter und nutzerzentrierter Erfahrungen im Gesundheitswesen bedeutet, dass man mehr darüber wissen muss, wie Patienten mit ihrer Krankheit umgehen und leben. Man will vermeiden, dass einem tiefgreifende Probleme, Sorgen und Herausforderungen entgehen, mit denen Patienten konfrontiert sind.

Wir können jedoch nicht davon ausgehen, dass Patienten relevante Informationen oder Bedenken im Zusammenhang mit ihrer Krankheit von selbst zur Sprache bringen. Warum? Weil Patienten möglicherweise Schwierigkeiten haben, intime Gedanken oder Informationen über ihren aktuellen Zustand mit uns zu teilen, da wir ihnen fremd sind und in der Regel keinen medizinischen Hintergrund haben.

Letztendlich geht es darum, dass die Teilnehmer uns vertrauen, auch als nicht-medizinische Person. Deshalb müssen wir als Moderatoren auf den emotionalen und physischen Zustand der Patienten achten. Unsere oberste Priorität sollte sein, dass sich die Teilnehmer in unserer Gegenwart während der Sitzung wohl fühlen. Wir müssen einfühlsam sein und sie wissen lassen, dass ihr körperlicher und geistiger Zustand für uns wichtiger ist als die Aufgaben, die wir mit ihnen im Interview erledigen wollen.

 

Meine Tipps für einen guten Research

Hetzen Sie nicht!

Erlauben Sie den Teilnehmern, ihre Gedanken nach Bedarf zu sammeln, und vermeiden Sie den Versuch, ihnen mit Moderationstricks Informationen zu entlocken. Der Effekt wird nur kontraproduktiv sein und am Ende erhält man vielleicht gar keine wertvollen Informationen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Teilnehmer, denen es zu Beginn des Interviews schwer fiel, über ihre Krankheit zu sprechen, zum Ende hin offener wurden. Nachdem sie eine Stunde mit mir in einem Raum verbracht hatten, schienen die Teilnehmer weniger angespannt zu sein und sich in meiner Gegenwart wohler zu fühlen. Wenn Sie also das Gefühl haben, dass sie nicht bereit sind, mit Ihnen im Detail über ihren psychischen und/oder physischen Zustand zu sprechen, versuchen Sie es am Ende des Interviews noch einmal.

Bei speziellen Patientengruppen kann es auch hilfreich sein, wenn sie ihre Bezugsperson mitbringen dürfen. Pflegepersonen sind Menschen, denen sie vertrauen und die sie unterstützen und trösten können.

 

 

Seien Sie ein guter Zuhörer

Wir müssen während des Interviews viel mehr zuhören als reden. Höre nicht nur auf die gesprochenen Worte, sondern auch auf die Körpersprache der Teilnehmer. Das ist ein wesentlicher und wichtiger Teil jedes Interviews (nicht nur mit Patienten). Ich denke jedoch, dass wir unserem Gegenüber noch mehr Aufmerksamkeit schenken müssen, wenn wir Interviews mit Patienten führen. Ihre Körpersprache und ihr Verhalten können uns Hinweise darauf geben, was sie tatsächlich fühlen und denken, wenn sie über ein bestimmtes Thema sprechen, oder uns Hinweise auf Dinge geben, über die sie nicht sprechen wollen, z.B. die Stärke der Schmerzen.

Achte auch auf Deine eigene Körpersprache und Mimik. Schenke ein beruhigendes Lächeln, zeige Interesse an dem, was die Teilnehmer erzählen, sitze gerade, habe eine offene Körperhaltung, lehne Dich nach vorne, stelle Augenkontakt her und entspanne Dich.

 

Sei gut vorbereitet

Machen Sie sich unbedingt vorher mit der Krankheit und ihren Symptomen und Vorgaben vertraut. Gibt es besondere Bedürfnisse? Welche möglichen Situationen können während der Befragung auftreten?

Patienten zu befragen, ohne vorher Recherche zu betreiben, ist nicht nur unprofessionell, sondern wird oft als unethisch angesehen. Sie müssen über die verschiedenen Auswirkungen, die eine Krankheit auf eine Person haben kann, Bescheid wissen, um entsprechend zu handeln und Ihre Gesprächsleitfäden, Fragebögen usw. vorzubereiten.

Das Wissen über ihre speziellen Bedürfnisse kann auch zum Komfort der Teilnehmer beitragen und die Risiken für die Patienten minimieren. Denken Sie z. B. bei der Auswahl des Testortes an ihre speziellen Bedürfnisse, z. B. sitzen sie in einem Rollstuhl? Versuchen Sie, einen Ort zu finden, der barrierefrei ist. Haben sie eine Gehhilfe? Achten Sie darauf, dass im Befragungsraum keine Kabel von Kameras herumliegen.

 

Fazit

Einfühlsame Kommunikation und Wissen über die Patientengruppe können zu noch besseren Ergebnissen und tieferen Erkenntnissen führen. Letztendlich geht es um den Aufbau von Vertrauen:

Verstehen Sie, dass es Zeit braucht, bis die Teilnehmer Vertrauen aufbauen und von Problemen und Bedürfnissen erzählen

  • Seien Sie einfühlsam und achten Sie auf Ihre Körpersprache
  • Beziehen Sie, wenn möglich, Betreuungspersonen mit ein
  • Seien Sie ein guter Zuhörer
  • Seien Sie vorbereitet - informieren Sie sich über die Krankheit und ihre Auswirkungen

 

Wenn wir als UX-Experten in der Gesundheitsbranche arbeiten, müssen wir es noch ernster nehmen als alles andere. Wir müssen uns auf kleine Dinge konzentrieren und so viele Details wie möglich in unsere Arbeit einfließen lassen. Schließlich geht es um die Gesundheit eines Menschen.

 

Autorin

Tabea Daunus

Tabea ist eine unserer UX Researcherinnen in Hamburg, die seit 2015 User Research Studien durchführt. Als zertifizierte Medical Device-Usability-Expertin (TÜV) interessiert sie sich vor allem für den Bereich der Medizinprodukte-Usability / Human Factors Research. Normen und Richtlinien schrecken sie nicht, und sie arbeitet gerne mit Liebe zum Detail. Neben der Forschung ist sie bei uintent für das Qualitäts- (ISO 9001) und Informationssicherheitsmanagement (TISAX) zuständig.

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