
HEALTHCARE, FORMATIVE EVALUATION, SUMMATIVE STUDY
"Gut genug?": Balance zwischen Compliance und Pragmatismus in der Nutzerforschung für Medizinprodukte
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25. Juni 2025
Wir bei uintent leben in zwei Welten: der Welt der Human Factors in der Medizintechnik und der Welt der User Experience in allen anderen, nicht regulierten Branchen. Wir haben beide verglichen und enorme Unterschiede festgestellt. Unternehmen aus der Medizintechnik geben 2,5 Mal so viel Geld für eine formative Studie aus wie Unternehmen aus nicht regulierten Branchen, und ihre Projekte dauern ein Drittel länger. Am erstaunlichsten ist jedoch, dass die Hersteller von Medizinprodukten nur 15 % ihres Budgets für andere Methoden als formative oder summative Evaluierungen ausgeben, während alle anderen Branchen 54 % für andere UX-Methoden wie frühe Nutzerforschung oder Benchmarking aufwenden.
Auf der 5th Annual European Medical Device Human Factors and Usability Engineering Conference haben meine Kollegin Tabea Daunus und ich uns in unserem Vortrag genau mit diesem Thema beschäftigt: "Gut genug (?)" - ein tiefer Einblick in die Frage, wie man die Einhaltung von Vorschriften mit praktischen, effizienten Forschungsstrategien in Einklang bringen kann.
Hier ist, was wir vorgestellt haben und warum es für jeden, der an UX im Gesundheitswesen arbeitet, wichtig ist.
Anfangen zu testen, bevor es perfekt ist
Der beste Zeitpunkt, um mit der Nutzerforschung zu beginnen? Früher als Sie denken.
Zu viele Teams warten, bis das Produkt "fertig" ist, bevor sie die Nutzer:innen einbeziehen. Dabei sind es gerade die Erkenntnisse aus der Frühphase, die wirklich etwas bewirken:
Sie helfen bei der Integration echter Nutzerbedürfnisse in die Produktgestaltung und erhöhen die Akzeptanz
Sie zeigen die tatsächlichen Arbeitsabläufe und den Nutzungskontext auf, nicht nur Annahmen
Sie Vermeiden die Verschwendung von Zeit und Geld für Funktionen, die in der Praxis nicht funktionieren
Ein typisches Beispiel:Einer unserer Kunden entwickelte den Handhabungsprozess eines Geräts auf der Grundlage von Erkenntnissen aus einem großen Krankenhaus in Deutschland und plante eine weltweite Einführung. Während der Tests entdeckten sie:
Das Verfahren hat in kleineren Krankenhäusern nicht funktioniert
Die im Entwurf angenommene Infrastruktur existierte anderswo nicht.
Die Arbeitsabläufe variierten erheblich zwischen den Ländern
Es war ein Weckruf, und er kam gerade noch rechtzeitig.
Überspringen Sie den Papierkram (zunächst)
Wir haben gesehen, wie vielversprechende Projekte durch eine Überlastung der Dokumentation ins Stocken geraten sind.
Es ist ein Irrglaube, dass jede Studie formale Protokolle, ethische Genehmigungen und 80-seitige Berichte umfassen muss. Das ist einfach nicht wahr, vor allem nicht in der Anfangsphase.
Wir nennen das den "Stealth-Modus".
Anstatt einen umfassenden formativen simulierten Nutzungstest durchzuführen, können Sie die frühe Forschung als solche positionieren:
Marktforschung
Kontextbezogene Untersuchung
Sondierende Überprüfung durch Experten
Heuristische oder Aufgabenanalyse
Diese Methoden sind schnell, flexibel und werden von den zuständigen Behörden (ja, sogar von der FDA) voll unterstützt. Sie wurden entwickelt, um nutzungsbedingte Probleme aufzudecken, nicht um Vorschriften zu erfüllen. Kein Protokoll? Kein Problem. Bezeichnen Sie es einfach nicht als etwas, was es nicht ist.
Das Ziel ist einfach: schnell lernen, schnell besser werden.
"Aber mein Gerät ist zu kompliziert..."
Das hören wir oft. Aber in Wirklichkeit ist die Komplexität genau der Grund, warum frühe, agile Tests so wichtig sind.
Vertrauen Sie Ihren Nutzer:innen, denn sie können abstrakt denken.
Das können Sie tun:
Papierprototypen oder 3D-Drucke verwenden
Nur eine Interaktion oder einen Schritt testen
Komplexe Umgebungen kreativ simulieren
In einem Projekt mussten wir zum Beispiel einen C-Bogen simulieren, der in Katheterlabors verwendet wird. Das Problem? Keine Verfügbarkeit eines Katheterlabors. Die Lösung? Wir bauten den C-Bogen aus Pappe nach und führten die Studie in einem normalen Benutzerlabor durch. Gleiche Erkenntnisse. Große Einsparungen.
Darüber hinaus sollten Sie Ihre internen Ressourcen ausbauen:
Erstellen Sie Datenbanken für das, was funktioniert (und was nicht)
Erstellen Sie Wiederverwendbare Design-Bibliotheken
Sammeln Sie zusätzliche Daten (z. B. anthropomorphe Messungen), wenn Sie bereits Nutzer:innen vor Ort haben
Kurz gesagt: Komplexität ist kein Hindernis. Sie ist ein Grund, schlauer anzufangen.
Kluges Vorgehen bei summativen Tests
Summative Studien werden oft als starr und unantastbar angesehen, aber auch hier gibt es Raum für Kreativität und Effizienz.
Hier sind einige Möglichkeiten, wie Sie sie für sich arbeiten lassen können:
Unterteilen Sie Ihren summativen Test in zwei Wellen. Wenn in den ersten paar Sitzungen etwas schief läuft, machen Sie eine Pause. Klassifizieren Sie diese Sitzungen als formativ, beheben Sie die Probleme und vermeiden Sie Zeit- und Geldverschwendung.
Bauen Sie eine Sicherheitspause ein. Warten Sie nicht bis zum Ende, bis Sie merken, dass es ein größeres Problem gibt. Planen Sie einen Kontrollpunkt in der Mitte der Feldphase ein.
Nutzen Sie die Gelegenheit einer Studie. Wenn die Teilnehmer:innen bereits vor Ort sind und noch Zeit übrig ist, lassen Sie sie nicht gleich nach Ende der summativen Studie gehen. Sobald die Validierungssitzung abgeschlossen ist, beenden Sie die Aufzeichnung und beginnen Sie mit einer Folgestudie (z. B. zu Marketingthemen oder anderen verwandten Produkten, die derzeit in der Entwicklung sind).
Passen Sie Ihre Umgebung kreativ an. Wie bei unserer Geschichte über das Katheterlabor aus Pappe: Manchmal erspart eine clevere Einrichtung wochenlange Verzögerungen und Tausende von Labkosten.
Und denken Sie daran: Wenn Ihr Produkt nicht für die USA bestimmt ist, sollten Sie hinterfragen, ob eine Prüfung nach US-amerikanischem Vorbild wirklich erforderlich ist. Nicht alle Produkte müssen die FDA-Richtlinien buchstabengetreu befolgen.
Abschließende Überlegungen: Was ist wirklich gut genug?
Das Ziel ist nicht, an der falschen Stelle zu sparen. Es geht darum, kluge, bewusste Entscheidungen zu treffen und dabei den gesamten Spielraum zu nutzen, den die rechtlichen Rahmenbedingungen bereits bieten.
Um es kurz zu machen:
Beschränken Sie sich nicht auf Usability-Tests, sondern erforschen Sie auch andere valide Forschungsmethoden.
Fangen Sie klein an. Fangen Sie unbedarft an. Es zählt trotzdem.
Nicht jedes formative Verfahren erfordert ein Protokoll und eine vollständige Dokumentation.
Sie können selbst bei komplexen Geräten frühzeitig testen.
Verwenden Sie Wissen wieder. Sammeln Sie zusätzliche Erkenntnisse, wann immer Sie können.
Lernen Sie Ihre Nutzer:innen frühzeitig kennen, das wird Ihnen später viel ersparen.
Nutzen Sie summative Setups, indem Sie andere Studienelemente hinzufügen.
Bauen Sie Sicherheitspausen ein, um bei Bedarf zu schwenken.
Stellen Sie Formalitäten in Frage, vor allem außerhalb der Vereinigten Staaten.
So arbeiten wir bei uintent: schlank, wo es möglich ist, rigoros, wo es nötig ist, und immer mit dem Fokus auf den Nutzwert.
Möchten Sie wissen, wie "gut genug" für Ihr Gerät aussieht? Lassen Sie uns darüber reden. 🗨️
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AUTHOR
Wolfgang Waxenberger
Wolfgang begann seine Tätigkeit als UX-Profi im Jahr 2004 nach Abschluss seines MA in Politikwissenschaft und Soziologie. 10 Jahre lang leitete er SirValUse Consulting und die UX-Abteilung von GfK, bevor er 2019 uintent gründete. Wolfgang’s Schwerpunkt liegt auf Automotive und Healthcare Research.
