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Fünf Arten von KI-Systemen – und was sie für uns tun
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5. Juni 2025
Warum dieser Artikel?
Wer sich heute mit KI beschäftigt – ob als UX-Professional, Produktmensch oder Strategin – merkt schnell: Es gibt nicht die eine künstliche Intelligenz. Stattdessen begegnen uns unterschiedliche Systeme mit völlig verschiedenen Fähigkeiten. Und noch wichtiger: mit völlig unterschiedlichem Nutzen für uns als Nutzer:innen.
Dabei helfen Begriffe wie GenAI, RAG oder Agenten nur bedingt. Denn sie beschreiben meist technische Konzepte, keine Nutzererfahrungen. Was aber zählt, ist:
Was bekomme ich als Userin konkret?
Was kann ich abgeben – und was muss ich selbst noch leisten?
Wo hilft mir das System – und wo lauern Risiken?
In diesem Artikel stelle ich fünf grundlegende KI-Systemtypen vor. Alle fünf begegnen uns – explizit oder implizit – in modernen Tools. Sie unterscheiden sich in Funktion, Nutzen und typischen UX-Szenarien. Und sie alle haben ihre Grenzen. Zeit, da mal Ordnung reinzubringen.
GenAI – Wenn Kreativität auf Knopfdruck entsteht
Der Klassiker unter den KI-Systemen: Generative AI (kurz GenAI). Du gibst einen Prompt ein – und bekommst Text, Bilder, Code oder Ideen zurück. Meist ohne Wartezeit, oft ziemlich beeindruckend.
Was ist das?
Ein trainiertes Sprachmodell, das auf Basis von Wahrscheinlichkeiten neue Inhalte erzeugt. Es erinnert sich nicht – es erfindet. Und zwar verdammt gut.
Was bekommst Du?
🟢 Ideen, erste Textfassungen, kreative Anregungen, visuelle Varianten – alles schnell, alles mit einem Prompt
UX-Beispiele:
Einladungstexte für Usability-Tests generieren
10 Ideen für User-Feedback-Fragen aufschreiben lassen
Erste Personas auf Basis von ein paar Stichworten skizzieren
Wireframe-Beschreibung als HTML ausgeben
Nutzen:
Startpunkt für kreative oder konzeptionelle Arbeit
Zeitersparnis bei wiederholbaren Aufgaben (z. B. Textentwürfe)
Impulsgeber in stagnierenden Prozessen
Grenzen:
Halluzinationen: GenAI erfindet Fakten – auch wenn’s plausibel klingt, ist’s oft falsch
Kontextarm: Ohne präzisen Prompt gibt’s wenig brauchbaren Output
Stilrisiko: Viele Texte klingen gleich – „KI-Sprech“ lässt grüßen
Fazit: Super für kreative Rohfassungen – gefährlich, wenn man’s ungeprüft übernimmt.
RAG – Wenn KI weiß, was wir wissen
Retrieval-Augmented Generation (kurz RAG) ist der Versuch, GenAI schlauer zu machen: Die KI sucht erst gezielt nach relevanten Informationen – und formuliert dann basierend darauf eine Antwort. Klingt einfach, ist aber mächtig.
Was ist das?
Eine Kombination aus Vektorsuche (z. B. in PDFs, Datenbanken oder Miro-Boards) und einem LLM, das diese Inhalte nutzt, statt sie zu erfinden.
Was bekommst Du?
🟢 Kontextbasierte, fundierte Antworten – mit direkten Bezügen zu Euren Daten, Unterlagen, Reports
UX-Beispiele:
„Welche UX-Kriterien gelten für unsere MedTech-Produkte?“ → Zitat aus dem internen Standard
„Was wurde zum Onboarding-Flow in den letzten Interviews gesagt?“ → Textausschnitte mit Quellen
„Welche KPIs nutzen wir für NPS-Tracking?“ → Extrahiert aus Workshop-Doku
Nutzen:
Spart Zeit bei der Informationssuche
Führt zu belastbareren Antworten
Unterstützt interne Wissensverteilung
Grenzen:
Wenn die Daten schlecht sind, hilft auch RAG nicht weiter
Relevanz-Logik bleibt oft intransparent
Hoher Aufwand für Datenpflege (Struktur, Aktualität, Rechte)
Fazit: Macht große Datenmengen endlich nutzbar – solange man sie gut vorbereitet.
MCP – Wenn KI mehrstufig denken kann
Modular Conversational Pipelines (MCP) sind orchestrierte Systeme, bei denen eine Aufgabe in Teilschritte zerlegt und sequenziell verarbeitet wird. Damit kann KI plötzlich analysieren, strukturieren, gewichten – nicht nur antworten.
Was ist das?
Eine Kette spezialisierter KI-Module oder Prompts – z. B. „Zusammenfassen → Clustern → Priorisieren → Visualisieren“.
Was bekommst Du?
🟢 Logisch strukturierte Ergebnisse für komplexe, vielschichtige Aufgaben – inkl. Zwischenschritten
UX-Beispiele:
Offene Interviewantworten automatisch codieren & clustern
Mehrsprachige Nutzerfeedbacks harmonisieren
Systematische Bewertung von Use Cases nach Impact und Feasibility
Erstellung von Benchmark-Vergleichen auf Basis von UX-Kennzahlen
Nutzen:
Spart Zeit bei wiederkehrenden Auswertungen
Reduziert Fehler durch Standardisierung
Macht komplexe Datenmengen greifbar
Grenzen:
Fehler im ersten Schritt können sich durchziehen
Oft unklar, warum ein bestimmter Cluster so benannt wurde
Bedarf guter Prozessdefinition und Promptstrategie
Fazit: Ideal für strukturierte Denkprozesse – vorausgesetzt, man kontrolliert die Zwischenschritte.
Function Calling – Wenn KI gezielt Werkzeuge nutzt
Eine oft übersehene, aber extrem praktische Kategorie: Tool-Enhanced Prompts oder Function Calling. Hier ruft die KI gezielt vordefinierte Funktionen oder APIs auf – und kombiniert menschliche Sprache mit konkreter Logik.
Was ist das?
Die KI übergibt Aufgaben an ein externes Modul – z. B. einen Taschenrechner, eine Wetter-API, ein Excel-Plugin oder ein Kalendersystem.
Was bekommst Du?
🟢 Antworten, die auf aktuellen, exakten Daten oder Funktionen basieren – kein Ratespiel, kein Halluzinieren
UX-Beispiele:
„Wie viele Proband:innen hatten wir im März?“ → API-Aufruf ins CRM
„Berechne den Mittelwert dieser UX-Scores“ → Excel-Funktion im Hintergrund
„Zeige mir offene Terminfenster nächste Woche“ → Zugriff auf Kalenderdaten
„Gib mir Live-Nutzerzahlen aus Google Analytics“ → direkte Integration
Nutzen:
Verbindet Sprach-KI mit echtem Funktionieren
Bietet präzise, datenbasierte Antworten
Ermöglicht Automatisierung von Standardprozessen
Grenzen:
Muss explizit angebunden und definiert werden – kein Selbstläufer
Funktioniert nur, wenn Permissions, Formate & APIs sauber konfiguriert sind
Wenig Spielraum – keine kreative Eigenleistung der KI
Fazit: Perfekt, wenn es auf Richtigkeit ankommt – aber kein Ersatz für Denken oder Deuten.
Agenten – Wenn KI wirklich etwas für uns tut
Die Königsdisziplin: KI-Agenten. Sie handeln selbstständig, führen Schritte aus, nutzen Tools, fragen zurück – und liefern oft ein Ergebnis, nicht nur eine Antwort.
Was ist das?
Ein (halb-)autonomer Assistent, der Aufgaben plant, Entscheidungen trifft, Tools nutzt – ohne dass jede Aktion einzeln gepromptet werden muss.
Was bekommst Du?
🟢 Ergebnisse, keine Vorschläge. Die KI übernimmt – und meldet sich zurück, wenn sie etwas braucht.
UX-Beispiele:
Erstellung einer vollständigen Slide-Deck-Zusammenfassung auf Basis einer Studie
Zusammenführung von Nutzerfeedback + Metriken + Protokollen in eine Journey Map
Planung eines UX-Workshops mit Methodenvorschlägen, Dauer, Agenda, Teilnehmerlogik
Ableitung von Handlungsempfehlungen aus qualitativen und quantitativen Daten
Nutzen:
Entlastung von Routinen und Multi-Step-Aufgaben
Bessere Fokussierung auf Analyse & Strategie
Interaktion fühlt sich eher wie ein Projektpartner an
Grenzen:
Hoher Kontrollverlust – was passiert da eigentlich?
Entscheidungen sind oft nicht transparent oder erklärbar
Fehlerpotenzial durch „falsche“ Annahmen oder schlechte Tool-Ausführung
Fazit: Extrem mächtig – aber mit Vorsicht zu genießen. Verantwortung bleibt beim Menschen.
System | Was macht es? | Was bekomme ich? | Nutzerrolle | Typische Grenzen | In einem Wort |
GenAI | Inhalte erzeugen | Inspiration, Text, Bild | Promptgeber:in | Halluziniert, Kontext fehlt | Kreativität |
RAG | Wissen suchen + nutzen | Fundierte Antworten | Fragende Person | Falsche Quelle, Pflegeaufwand | Wissen |
MCP | Prozess abbilden | Strukturierte Ergebnisse | Prozess-Steuerung | Fehlerketten, Intransparenz | Struktur |
Function Call | Funktion ausführen | Exakte, datenbasierte Antwort | Aufgaben-Steller | Nur so gut wie das Tool/API dahinter | Zugriff |
Agent | Aufgaben autonom lösen | Ergebnis oder Outpu | Aufgaben-Delegation | Kontrollverlust, Fehlerpotenzial | Assistenz |
Fazit: Was passt wann?
Es geht nicht darum, welches System „am besten“ ist. Es geht darum, was zu welchem Problem passt.
Du brauchst Ideen? → GenAI
Du suchst intern verteiltes Wissen? → RAG
Du willst Daten systematisch auswerten? → MCP
Du brauchst exakte Zahlen oder Echtzeitdaten? → Function Calling
Du willst eine ganze Aufgabe abgeben? → Agent
💡 Die eigentliche Magie entsteht oft in Kombination: Ein RAG-System holt Inhalte, ein MCP strukturiert sie, ein Agent bereitet sie auf – und Function Calls sorgen dafür, dass die Daten auch stimmen.
Und genau deshalb lohnt sich der differenzierte Blick. Nicht nur, weil es technologische Unterschiede gibt – sondern weil wir als Nutzer:innen dann besser entscheiden können:
→ Wofür nutze ich welche KI?
→ Und wo bleibe ich besser selbst am Steuer?
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AUTHOR
Tara Bosenick
Tara ist seit 1999 als UX-Spezialistin tätig und hat die Branche in Deutschland auf Agenturseite mit aufgebaut und geprägt. Sie ist spezialisiert auf die Entwicklung neuer UX-Methoden, die Quantifizierung von UX und die Einführung von UX in Unternehmen.
Gleichzeitig war sie immer daran interessiert, in ihren Unternehmen eine möglichst „coole“ Unternehmenskultur zu entwickeln, in der Spaß, Leistung, Teamgeist und Kundenerfolg miteinander verknüpft sind. Seit mehreren Jahren unterstützt sie daher Führungskräfte und Unternehmen auf dem Weg zu mehr New Work / Agilität und einem besseren Mitarbeitererlebnis.
Sie ist eine der führenden Stimmen in der UX-, CX- und Employee Experience-Branche.
